Dass ausgerechnet in der weltberühmten Skidestination Mayrhofen im Zillertal heute noch der Winter mit viel Krach vertrieben wird, klingt doch einigermaßen krass. Aber das Brauchtum stammt aus einer Zeit, in der die Menschen noch von der Fruchtbarkeit der Natur und dem Wetter abhängig gewesen sind. Kein Wunder also, dass bäuerliche Gesellschaften Eis und Schnee als natürliche Feinde des Menschen betrachteten. Damals ging es bisweilen noch um’s nackte Überleben in den Bergen. Da war noch nicht die Rede von Pulverschnee, Tiefschneeabfahrten, Eisklettern oder Skitouren. Und schon gar nicht von Hüttenzauber und Après Ski.

Mit viel Lärm gegen den Winter
Ich bin mir sicher, dass viele Tirolerinnen und Tiroler noch nie etwas vom Brauch des Grasausläutens gehört haben. Und das, obwohl er seit Jahrhunderten im Zillertal und in der Region um Schwaz und in einigen Karwendel-Gemeinden mit größtem Eifer betrieben wird. Das Grasausläuten gehört zusammen mit dem Aperschnöllen (oder Aperschnalzen), dem Scheibenschlagen und dem Hexenverbrennen am Funkensonntag zu uraltem, noch gelebten Tiroler Frühlings-Brauchtum. Und all diese Bräuche haben einen gemeinsamen Nenner: sie werden unter ohrenbetäubendem Lärm praktiziert.
Beim Aperschnöllen oder -schnalzen schwingen junge Burschen mit großem Geschick riesige Peitschen, die sie lautstark knallen lassen. Beim Scheibenschlagen werden Holzscheiben und Strohkugeln entzündet und mit Schwung über Abhänge gerollt, während beim Hexen- oder Märzverbrennen am Funkensonntag dem Winter endgültig der Garaus gemacht werden soll. Das ist dann der Fall, wenn die ‚Hex‘ mit Riesenkrach explodiert.
Für mich ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass ausgerechnet im Zillertal der Brauch des Grasausläutens immer noch mit viel Ernst praktiziert wird. Denn Brauchtum hat immer dort sehr tiefe Wurzeln, wo dessen Verlust droht. Vielleicht ist es aber auch der Riesenlärm, der mit zur Beliebtheit des Grasausläutens beiträgt. Quasi der Schallpegel auf dem Niveau einer Harley-Davidson-Parade ohne Motorräder? Könnte hinhauen.
Grasausläuten: Bubengruppen mit Riesenschellen
Hinter dem Grasausläuten steckt kein Hokuspokus. Es handelt sich um organisierten, gemeinschaftlich erzeugten Lärm, bei dem allerlei Tierglocken die Hauptrolle spielen. Es sind vor allem Bubengruppen, die für Riesen Krawall sorgen. Und mit umgebundenen Glocken und Schellen, adrett in Lederhosen gekleidet und mit Hut samt Feder versehen über Wiesen und Äcker und durch die Dörfer ziehen.
Vielfach wollen Erwachsene den Jungspunden nicht nachstehen und produzieren mit allen grad zur Verfügung stehenden Instrumenten ebenfalls einen Heidenkrach. Ursprünglich fand dieser Brauch am „Jörgitag“, dem Georgstag, dem 23. April statt, der in anderen Gegenden Tirols als „Erdäpfel-Stecktag“ gilt.



Ohne Fleiß kein Preis
Es wär ja kein Tiroler Brauch, würden die Teilnehmer des Grasausläutens nicht dann und wann belohnt. Die jungen Teilnehmer können sich auf allerlei Süßigkeiten der Bauern freuen während die älteren – wie sollte es im Zillertal auch anders sein – nur allzu oft zum angebotenen, stärkenden Zillertaler Meisterwurz greifen.
Auf dass der Frühling endgültig kommen kann!